Zum Begriff „Bildungsstand“

Gerade las ich über einige statistische Auswertungen, in denen auch der Bildungsstand der Betroffenen eine Rolle spielte, und ich fragte mich, inwieweit man Statistiken überhaupt vertrauen kann, in denen etwas in Bezug auf den Bildungsstand einer Person ausgesagt wird.

Ist der Begriff nicht irreführend? Was genau sagt er denn eigentlich aus? Er gibt in der Regel doch den höchsten erreichten Abschluss an, eventuell noch dessen „Qualität“ (also sehr gut, gut usw.).

Wenn man nun aber bedenkt, dass nur ein geringer Bruchteil des „Gelernten“ aus der Schule überhaupt in den Köpfen der Menschen präsent bleibt, wie z. B. Richard David Precht mit Bezug auf den Psychologen Thomas Städtler feststellt – was haben diese Abschlüsse dann langfristig mit Bildung zu tun? Richtig. Nichts.

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Worüber sagen sie dann etwas aus? In meinen Augen vor allem darüber, wie sehr die „Lernenden“ die vermeintliche Notwendigkeit des (Schul)Systems verinnerlicht haben, also über ihre Anpassungsfähigkeit bzw. den Grad ihrer Angepasstheit. Und über ihren sozialen Status, den sie aber über ihre außerschulische Sozialisation erhalten haben und der durch unser die Ungleichheit bestärkendes Schulsystem eher noch gefestigt wird.

Auch über weitere Dinge mögen Ausagen mögich sein, z. B. über die unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeit der „Lernenden“, den Stoff effektiv auswendig zu lernen (wobei hier auch der Wille dazu und damit eigentlich auch der Grad der Angepasstheit eine Rolle spielen).

Wenn der Begriff „Bildungsstand“ nun mehr über die Angepasstheit der „Lernenden“ aussagt als über ihre tatsächliche Bildung, muss man doch Statistiken, die etwas über den Bildungsstand der Menschen im Zusammenhang mit ihren Verhaltensweisen oder Lebenssituationen etc. aussagen, ganz anders lesen. Es sind dann nicht besser gebildete, klügere Menschen, sondern angepasste und dadurch im System erfolgreichere, aber auch durch die Herkunftsfamilie besser gestellte, die einen höheren „Bildungsstand“ haben. Darüber sagt der Begriff etwas aus. Nicht über das Wissen und die Fähigkeiten von Menschen.

Ich persönlich vertrete die Theorie, dass alle Menschen die Fähigkeit haben, ein erfolgreiches und zufrieden stellendes Leben zu führen, wenn man sie nur ihren Weg gehen lassen würde, was eben auch bedeutet, sie nicht durch Abschlüsse „abzustempeln“, die nichts über ihre Fähigkeiten oder Möglichkeiten aussagen, sondern nur darüber, wie gut sie sich angepasst und/oder welchen Status sie haben. Dieses „Abstempeln“ durch das Schulsystem nimmt Menschen die Möglichkeit und auch das Selbstbewusstsein dafür, eigene Wege zu finden und zu gehen. Auf der anderen Seite schafft es, wie Hüther so schön sagt, auch mit den vermeintlich erfolgreichen Absolventen letztlich „lustlose Pflichterfüller“, die das System verinnerlicht haben. Dagegen ist ja nichts einzuwenden, wenn diese Menschen damit glücklich und zufrieden sind  – aber ich persönlich glaube eben, dass auch diese ihr Potential weniger nutzen als sie es könnten, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten, sich frei zu entfalten und sich nicht zwingend an ein bestimmtes System anpassen zu müssen, um „erfolgreich“ zu sein.

Angela

Ceterum censeo coactam educationem esse delendam!

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