Gedanken zu einem in der PNN veröffentlichten Artikel vom 5.8.2016 über Mobbing in der Schule

Hallo,

nach einiger Zeit möchte ich mal wieder einen Text einstellen, den ich als Antwort auf diesen Artikel in unserer Tageszeitung PNN formuliert habe. Die Gedanken sprudelten nur so, der Text ist lang. Hier kommt er:

Am 5. August war ein Artikel in der PNN zu lesen, auf den ich in mich in mehrfacher Hinsicht genötigt sehe zu antworten: „Gemobbten Schülern helfen ‚Du bist in Ordnung!’“

Es ist seit dem Bestehen von Schulen bekannt, dass es an diesen Orten immer wieder zu Gewalt und Mobbing kommt. Wirklich effektive Lösungen gibt es aber bis heute nicht.

Es geht schon mit dem Begriff „Lernstörungen“ los. Wir Menschen sind Individuen, jeder einzelne ist anders. Wie bitte sollen alle diese Menschen sich zur selben Zeit mit demselben Thema beschäftigen, ohne dabei erhebliche Unterschiede im Verständnis des Themas zu entwickeln? Dazu kommt noch, dass der Lernstoff meistens den größten Teil der Gruppe sowieso nicht interessiert. Das ist aber nicht Schuld der Schüler oder Faulheit oder eben eine Lernstörung. Das ist die Schuld des Bildungssystems! Daher ist z. B. der im Artikel erwähnte Leistungsausgleich (der, wie richtig erkannt wurde, auch zu Mobbing führen kann) ein völlig falscher Weg. Damit wird lediglich versucht, die Verinnerlichung von gleichzeitig an viele verschiedene Individuen vermittelten Lerninhalten gerechter vergleichbar zu machen. Das tatsächliche Problem – dass so eine Art von Wissensvermittlung prinzipiell nicht richtig ist – wird aber nicht angegangen. In einem System, das auf Zwang basiert, kann Lernen nicht so funktionieren, wie es für uns vorgesehen ist. Wenn Menschen nicht selbst entscheiden dürfen, wann sie sich wo wie und womit beschäftigen, ist das nicht nur aus Sicht der Menschenrechte sehr bedenklich. Nein, es schafft auch ein lernhemmendes Klima. All die Lust und Freude am Lernen, die unser Leben in den ersten 6 Jahren in der Regel bestimmen, gehen bei einem Großteil der Kinder in wenigen Monaten bis Jahren in der Schule verloren. Vielleicht handelt es sich gar nicht um Lernstörungen, wenn der/die eine mit einem Thema weniger anfangen kann als der/die andere. Vielleicht könnte genau diese Person ein anderes Thema sehr gut durchdenken und für sich verwerten. Wenn man ihm/ihr nur die Chance dazu geben würde. Was in Schulen stattdessen passiert, ist das Überhelfen eines Lehrplanes, der von Menschen geschaffen wurde, die keine Ahnung von den Kompetenzen und Potentialen des jeweiligen Kindes haben. Bildung, das sollte sich mittlerweile herumgesprochen haben, hat etwas mit „sich bilden“ zu tun, geht also vom jeweiligen Individuum aus. Es ist unmöglich, jemandem etwas beizubringen, was dieser nicht beigebracht bekommen möchte.

Kommen wir zum Thema Mobbing. Was passiert nun tatsächlich in Schulen? Die Kinder, die – wie gesagt – meist mit den dargebrachten Themen in genau dem Moment, in dem sie behandelt werden müssen, nicht wirklich viel anfangen können (früher oder später vielleicht schon), versuchen „erfolgreich“ zu sein. Erfolg in der Schule heißt aber gar nicht, sich mit Freude zu bilden. Erfolg in der Schule heißt gute Noten/gute Beurteilungen/ein guter Abschluss. Erfolgreich ist derjenige, der die besten Strategien entwickelt, um erfolgreich Tests zu schreiben, Gedichte aufzusagen, Projekte zum Gefallen der Lehrpersonen „richtig“ zu absolvieren, die „richtige“ Meinung zu bestimmten Themen zu entwickeln (und Menschen sind sehr gut darin, herauszufinden, was andere hören wollen) etc. etc.. Der/die eine lernt auswendig, versucht zu gefallen, der/die andere spickt und versucht sich durchzumogeln. (Betrugsverhalten ist somit auch eine zwangsläufige Folge von Schule, etwas, das dort gelernt und perfektioniert wird.) Es entstehen besonders angepasste und besonders widerständige Menschen, die dann auch gern mal zu Schulschwänzern werden. Ich muss gestehen, dass letztere mir lieber sind, denn die haben zumindest (meist intuitiv) erkannt, dass etwas ganz gewaltig stinkt in unserem Bildungssystem. Sie versuchen sich zu entziehen. Meist leider erfolglos und durch die Stigmatisierung, die sie im Laufe der Zeit erfahren, auch mit unschönen Folgen für ihr Leben. Das ist ebenfalls nicht deren Schuld, sondern eine Folge  unseres Schulsystems. Man könnte nämlich – wenn man wirklich das Wohlergehen der Kinder im Sinn hätte – diese auch auf anderen Bildungswegen begleiten.

Fakt ist, dass schon am Tag eines Tests, bestimmt aber wenige Tage bis Wochen danach, kaum noch ein Schüler genau sagen kann, worum es in diesen überhaupt ging. Das ist auch nicht wichtig. Denn die Note zählt. DAS lernen die Kinder in unseren Schulen. Freude am echten Lernen, an echter Bildung, ist sehr bald kaum noch vorhanden. Natürlich heißt das nicht, dass Kinder nicht auch Spaß in der Schule haben, vor allem mit ihren Freunden. Der soziale Aspekt dürfte für viele der einzige Grund sein, überhaupt gern regelmäßig die Schule zu besuchen. Aber der Fokus der Kinder liegt bald nur noch auf dem Erfolg, der sich in der Beurteilung durch andere ausdrückt. Dies hat sehr viele negative Folgen. Ich möchte jetzt nur den Punkt Mobbing beleuchten. In meinen Augen ist das Schulsystem selbst Mobbing am Kind. Hier kommen die Gründe:

  1. Die Kinder werden gezwungen sich in der Schule aufzuhalten, ob sie wollen oder nicht. Wo bitte gibt es so eine unantastbare Aufenthaltspflicht an einem bestimmten Ort sonst noch? Richtig. Im Gefängnis. Sonst nirgendwo.
  2. Die Kinder werden gezwungen, sich den größten Teil des Tages mit Dingen zu beschäftigen, mit denen sie sich gerade nicht oder eben auch überhaupt nicht beschäftigen wollen.
  3. Die Kinder werden massiv gemaßregelt, wenn sie es wagen sollen, diese beiden ersten Punkte nicht widerspruchslos hinzunehmen.
  4. Die Kinder werden be-/verurteilt. Dadurch gibt es „bessere“ und „schlechtere“ Schüler (Menschen!). Diese Einteilung entsteht in Folge des Schulsystems! Das heißt, hier wird die Grundlage gelegt, dass die einen meinen besser als die anderen zu sein – die Grundlage für Mobbing!
  5. Die Kinder werden immer und immer wieder diszipliniert. Sie werden angeschrieen – kaum ein Lehrer wird von sich behaupten können, dies nie getan zu haben. Sie werden ermahnt, bloßgestellt, vor die Tür geschickt, zum Direktor geschleift … sie müssen fragen, ob sie auf Toilette dürfen, sollen still sitzen, nicht schwatzen/zuhören…. sie sind komplett fremdbestimmt über große Strecken des Tages. Man darf dabei nicht vergessen, dass Menschen zu einem großen Teil von Vorbildern lernen. Welches Vorbild erleben sie in der Schule? Sie erleben, dass sie nicht selbst über sich bestimmen dürfen und dass sie bewertet werden. Sie erleben, dass sie sich nicht frei entfalten können, sondern sich an die Vorstellungen von Personen, die Macht über sie haben, anpassen müssen. Es spielt dabei keine Rolle, wie nett diese Personen sind. Das Schüler-Lehrer-Verhältnis bleibt in Folge des Schulzwanges immer ein hierarchisches Machtverhältnis. Wie werden sie also handeln? Sie werden das tun, was sie erleben. Sie suchen sich die Personen, die auch das System schon als die Schwächeren aussortiert hat, und werden sie bewerten, be-/verurteilen, fremd bestimmen, Macht über sie ausüben. DAS lernen Kinder unter anderen negativen Dingen in unseren Schulen.

Die Ausführenden des Mobbings durch Schule, die Vorbilder für die Mobber unter den Kindern, das sind die Lehrpersonen und andere Mitarbeiter in Schulen. Ich möchte aber gleich klarstellen, dass ich diese nicht pauschal verurteile. Sicher gibt es Lehrende, die durchaus Spaß am Drangsalieren haben. Solche Menschen gibt es überall. Für viele ist Gewalt und Machtausübung gegenüber Schülern aber auch die einzig mögliche Lösung in einem System, das auch sie zwingt, Dinge zu tun, die sie womöglich nicht für richtig halten. Gewalt ist dann eine Bankrotterklärung. Sie setzen sich letztlich eben einfach durch. Aber Gewalt ist auch Selbstschutz, denn Lehrende müssen den Frust und die Unlust der Schüler (logische Folge des Schulsystems!) täglich ertragen. Der Beruf des Lehrers schlaucht. Lehrer sind die Ausführer des Systems, aber – neben den Schülern – auch die Ausbader. Sie verausgaben sich mit Dingen, die nichts mit Bildung zu tun haben: Disziplinierung, Verwaltung, Lehrplanerfüllung. Viele von ihnen haben aufgegeben und versuchen nur noch zu funktionieren. Ich kenne aber auch einige, die die Probleme erkennen und versuchen, für die Schüler das Beste im System zu erreichen. Sie sind engagiert und ändern teilweise auch etwas. In meinen Augen sind das aber zu wenige Tropfen auf einen zu heißen Stein. Es ist außerdem zermürbend wie der Kampf gegen die berühmten Windmühlen und nicht wenige passen sich früher oder später an oder wechseln den Beruf. Lehrer sind in meinen Augen auch Opfer des Systems.

Erwähnt wird im Text, dass Kinder mit „Lernstörungen“ häufig in seelischen Nöten stecken. Leider wird nicht genauer gefragt, wie die Nöte entstehen. Schule macht Angst – und zwar nicht wenigen Menschen. Wie oben schon gesagt, liegt es nicht in der Natur des Menschen, dass alle zur gleichen Zeit dasselbe lernen bzw. überhaupt im ganzen Leben dasselbe lernen. Wenn wir aber entgegen unserer verschiedenen Neigungen dazu gezwungen und auch noch permanent verglichen und abgefragt werden, bleibt Angst nicht aus.

Der Satz in besagten Artikel –  „Kinder, die erkennen, dass sie sich mit Dingen schwer tun, die andere spielend lernen, fühlten sich deshalb oft einfach ‚dumm’.“ – ist wahr und eine unglaubliche Verschleierung zugleich. Wahr ist, dass Kindern, die ohne Druck vielleicht erst mit 8 oder 12 Jahren komplikationslos und aus eigener Motivation heraus Lesen lernen würden, durch ein System, das verlangt, dass alle Kinder es mit 6 Jahren lernen MÜSSEN, suggeriert wird, sie wären dumm (Sie können hier auch andere Fähigkeiten einsetzen, dieser Satz gilt übergreifend.). Die Folge ist, dass diese frustrierten Kinder tatsächlich auch in Zukunft keinen Gefallen mehr an den sie scheinbar überfordernden Themen finden. Eine Verschleierung ist dieser Satz, weil das Problem auf die Kinder geschoben wird. SIE tun sich schwer, SIE glauben, sie wären dumm. So ist das aber nicht. Das System macht aus diesen ganz normalen Kindern in den Augen von anderen Menschen (Mitschüler, Lehrer, Eltern….) „Versager“! Und erst dann beginnen sie es selbst zu glauben.

Was die Aufdeckung von Mobbing und die Bekämpfung betrifft: Ein System, das Mobbing selber erzeugt und gleichzeitig vollmundig verurteilt – wie glaubwürdig ist das? Wie erfolgreich können in einem solchen System Anti-Mobbing-Programme sein? Das Erleben der Schüler in Schulen steht einfach in einem diametralen Widerspruch zu dem Verhalten, das in solchen Programmen von ihnen verlangt wird. Wenn außerdem Mobbing nur punktuell, d. h. wenn es von Schülern ausgeführt wird, beachtet und evtl. geahndet wird, von Seiten der Schule (in Form von Beurteilungen, Noten, Disziplinierungsmaßnahmen etc.) aber legal und leider sogar gewünscht ist, springt jedem (wenn vielleicht auch nur intuitiv) die Ungerechtigkeit direkt ins Auge. Ein ähnliches Phänomen ist übrigens die Propagierung von gesunder Ernährung bei gleichzeitigem Angebot von unterdurchschnittlicher Schülerspeisung. Das ist lächerlich, unehrlich, unglaubwürdig – unethisch!

So, kommen wir jetzt zu dem Punkt, der mich mit purer Wut erfüllt. Nachdem wir Eltern gezwungen sind, unsere Kinder, ob wir wollen oder nicht, diesem Schulsystem auszusetzen, und dieses dann mehr oder weniger schädlich auf unsere Kinder wirkt, liegt es nun an uns – den Eltern/den Familien – dies in den Ferien wieder gerade zu biegen! Dafür sind wir dann gut genug! Nachdem wir sonst kaum noch etwas, was unsere Kinder betrifft, entscheiden dürfen! Wir haben kaum noch eine Wahl zu entscheiden, wie und wo sie geboren werden, ob die Kinder dann zu Hause bleiben oder Kita/Krippe besuchen und schon gar nicht, ob die Schule der passende Bildungsweg für unsere Kinder ist.

Eltern haben in unserer Gesellschaft überhaupt keine Lobby! Einem Teil wird vorgeworfen, ihre Kinder zu vernachlässigen, einem anderen, Helikoptereltern zu sein. „Richtig“ macht es wohl niemand. Bis auf die Pädagogen natürlich! Diese haben ja studiert und es wird ihnen völlig unbegründet ein ungeheures Expertenwissen über UNSERE Kinder zugebilligt und so gut wie überhaupt nicht in Frage gestellt. Ich frage mich an dieser Stelle, wie wohl unsere Vorfahren ohne Pädagogen ausgekommen sind. Meiner Meinung nach gab es noch niemals in der Geschichte, wie heute, nur eine einzige Vorstellung davon, wie Bildung zu erfolgen hat – ein Bildungsmonopol des Staates. Bildungswege waren so individuell wie wir Menschen sind. Den Menschen aus vergangenen Jahrhunderten wird heute indirekt unterstellt, sie hätten keine Bildung besessen, weil sie ja keine Schulen besuchten. Ich persönlich denke, dass der durchschnittliche Mensch von heute höchstwahrscheinlich nicht so gebildet ist wie der durchschnittliche Mensch von anno dazumal (egal welches Zeitalter). Denn diese Menschen haben im Leben gelernt. Sie haben mit Interesse und Neugier das gelernt, was sie brauchten. Gehen wir mit unseren heutigen „Bildungsstandards“ heran – ja, dann konnten sie nicht lesen und schreiben, keine höhere Mathematik. Aber sie kannten vielleicht sämtliche Tiere und Pflanzen in ihrer Umgebung – und das brauchten sie wahrscheinlich auch in ihrem Leben. Ich will diese Zeiten nicht glorifizieren. Bildung wurde Menschen auch immer absichtlich vorenthalten, um Macht über sie ausüben zu können. Daran hatte aber auch Schule ihren Anteil, denn Schulen waren von Anfang an nicht als ein Angebot an die Menschen gedacht, sich frei zu bilden, sondern sie dienten dem Versuch, die Menschen in eine ganz bestimmte Richtung (vor allem gegen sozialdemokratische Bestrebungen) zu erziehen. Also ist auch die Glorifizierung der Erfinder unseres Schulsystems wohl nicht so angebracht wie man meinen könnte. Aber lassen wir das, das führt hier zu weit.

Bleiben wir bei den Eltern. Ihnen wird heute beinahe jede Kompetenz im Umgang mit ihren Kindern abgesprochen. Und sie stehen unter Druck. Sie werden vom Schulsystem instrumentalisiert als Hausaufgabenbetreuer bzw. Organisierer von Nachilfe (was oft genug auch noch zu häuslichem Unfrieden bis hin zu elterlicher Gewalt führt), als Ausflugsbegleiter, Finanziers von nicht wenigen Schulaktivitäten… – und nun auch noch als „alles in den Ferien wieder in Ordnung-Bringer“. Sie müssen in der Schule antreten, wenn schulische Disziplinierung nicht mehr greift. Sie werden nicht gehört, sobald ihre Meinung von der der Pädagogen abweicht. Sie müssen erleben, dass ihre Kinder pathologisiert werden, obwohl nicht wenigen von ihnen klar ist, warum z. B. ihr Kind unter Schulangst leidet. Einen Ausweg gibt es nicht, denn der Schulbesuch – der Besuch des Ortes, der Angst macht! – ist Pflicht. Eher ist das Kind falsch als das System! Und stehen die Eltern ihrem in der Schule leidenden Kind bei und suchen nach alternativen Bildungswegen, werden sie bald die Erfahrung machen, dass ihnen mit Polizeigewalt, Gerichten und letztlich Kindesentzug gedroht wird. Wohlgemerkt – nicht, weil es dem Kinder in der Familie schlecht geht, sondern einzig und allein, weil es nicht die Schule besucht. Niemand sucht mit den Familien gemeinsam nach Möglichkeiten, das Beste für das Kind zu erreichen. Der Schulbesuch des Kindes wird erzwungen und damit ist die Arbeit der zuständigen Ämter auch meist schon erledigt.

Gibt es eine Lösung? Ja, die gibt es. Wir müssen endlich unsere Ängste loslassen. Die Angst z. B., Kinder würden ohne Druck nicht lernen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie lernen schlecht bis gar nicht – wegen des Drucks. Oder die Angst (mehr ein Vorurteil), Familien mit weniger Ressourcen würden ohne Druck noch weniger Zugang zu Bildung erhalten. Unser heutiges Schulsystem diskriminiert gerade diese Menschen, sie werden, das ist durch viele Untersuchungen gezeigt worden, permanent benachteiligt. Sie sind die Verlierer des Systems! Es gibt aber Untersuchungen unter so genannten Freilernerfamilien (die Kinder bekommen überhaupt keinen Unterricht), die zeigen, dass es dort eine geringere Rolle spielt, aus welchem „Milieu“ die Lerner stammen. Sie haben Lernergebnisse, die viel näher beieinander und häufig über dem Wissensstand von gleichaltrigen Schulkindern liegen. Man bedenke hier, dass Freilerner nur das lernen, womit sie sich aus eigenem Interesse beschäftigen. Offenbar interessieren sie sich dabei ganz automatisch für die sie umgebenden Kulturtechniken, denn alle lernen z. B. problemlos Lesen und Schreiben, allerdings zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten. Es gilt auch die Angst loszulassen, dass Kinder ohne Zwang nicht in die Schule kämen. In allen Menschen steckt der Wunsch nach Wissenserwerb. Wir wollen erfahren, wie die Welt um uns herum beschaffen ist und wie sie funktioniert. Wir sind neugierig, wir wollen wissen. Dazu müssen (und können!) wir nicht gezwungen werden. Es genügt völlig viele verschiedene Orte mit vielen verschiedenen Angeboten zu schaffen. Die Kinder werden von ganz allein den Weg dorthin finden. Wir müssen endlich genügend Vertrauen in unsere Kinder haben. Natürlich werden dabei ganz unterschiedlich gebildete Menschen herauskommen, aber es wären Menschen mit Selbstbewusstsein, die wissen, dass sie ihren ganz individuellen Weg suchen und finden können. Das Recht, gehen zu können, also den eigenen Aufenthaltsort bestimmen zu dürfen, das wir unseren Kindern bisher nicht zugestehen, ist dafür eine ganz wichtige Voraussetzung. Dafür muss die Schulpflicht fallen! Die Verantwortung für ihre Bildung gehört in die Hände der Kinder bzw. ihrer Familien. Der Staat hat dabei lediglich eine wichtige Wächterfunktion, nicht aber das Recht auf ein Bildungsmonopol! Freilernen und Hausunterricht müssen möglich sein. Auch auf die Gefahr hin, dass manche Eltern – übrigens bei weitem nicht so viele, wie man uns gern weismachen möchte – z. B. christlich-fundamentalistisch erziehen. Eine echte Demokratie muss auch Menschen mit anderen Vorstellungen vom Leben akzeptieren können! Freiheit ist die Freiheit des Andersdenkenden! Als die Mauer fiel, war das ein weithin akzeptierter und gefeierter Satz. Warum in diesem Fall nicht? Weil dieses Mal nicht der Fall eines anderen Systems im Fokus steht, sondern das eigene Bildungsmonopol in Frage gestellt wird? Wichtig ist doch einzig, dass gewisse Grundrechte, z. B. auf ein Aufwachsen ohne Gewalt, gesichert werden. Daher sehe ich die Wächterfunktion des Staates auch als sehr wichtig an.

Ich möchte kurz ein Beispiel zu einem Lernort sinngemäß wiedergeben, das der freischaffende Philosoph Bertrand Stern einmal ausführte: Bibliotheken sind z. B. sehr gute Lernorte. Man besucht sie, weil man selbst etwas lesen möchte, nach Wissen, Inspiration oder etwas ganz anderem sucht. Den Mitarbeitern der Bibliotheken würde es niemals einfallen, uns abzufragen, was wir wohl gelesen haben oder uns zu bitten, den Inhalt wiederzugeben oder Fragen zu den Texten zu beantworten. Wenn wir aber Fragen haben, können wir uns jederzeit an diese wenden. So müssen alle Lernorte funktionieren! Über deren sonstigen Gestaltung  sind der Fantasie überhaupt keine Grenzen gesetzt. Lernen könnte endlich wieder Spaß machen! Mit Sicherheit wäre auch der Wirkungsgrad dieser Einrichtungen größer als der unseres derzeitigen Schulsystems (Stichwort: Bulimielernen!).

Meine Intention ist es nicht, Schulen gänzlich abzuschaffen – ich möchte aus ihnen freie Lernorte machen. Auch sollen nicht alle Menschen zu Freilernern werden – dies wäre nur eine Möglichkeit von vielen. Aber wir sollten zum einen endlich vor den negativen Folgen unseres Schulsystems nicht länger die Augen verschließen, und zum anderen die Untersuchungen, die es zu den Themen Freilernen oder alternative Schulform durchaus zur Genüge gibt, ernsthaft in unsere Überlegungen darüber einbeziehen, wie Schule sein müsste. Damit wir endlich erfolgreich echte Bildung ermöglichen können.

Angela

Ceterum censeo coactam educationem esse delendam!

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2 Replies to “Gedanken zu einem in der PNN veröffentlichten Artikel vom 5.8.2016 über Mobbing in der Schule”

  1. Heinrich

    Insgesamt richtig gedacht, gut recherchiert aber gerade in so einem Land wie dem heutigen Deutschland wird der Staat niemals irgendwelche wirklichen Freiheiten gewähren oder eine eigene unabhängige Entwicklungen dulden. Es ist eine Illusion zu glauben, daß ein Gewaltstaat auf die Rechte des Individuums Rücksicht nehmen würde, solange es nicht dabei um viel Geld oder Einfluß ginge. Recht entsteht leider nur dort wo Macht ist. In den USA ist der Hausunterricht auch möglich, geht aber vom freiheitlichen Prinzip aus das dort auch wirkliche Freiheit darstellt. Nur wird dieses auch in einigen Bundesstaaten wie in Kalifornien auch angegriffen und diffamiert. Die wirklich erfolgreichen Abgänger und Schüler des Hausunterrichts werden unter den Teppich gekehrt. Dies sind aber oft diejenigen welche nicht selten wirklich erstaunliches leisten in ihrem späteren Leben. Meine Tante war nicht auf öffentlichen Schulen und hatte einen Privatlehrer, obwohl unsere Familie nur wenig Geld hatte damals. Sie wurde später Apothekerin und konnte chemische Verbindungen und Strukturmodelle erklären und aufzeichnen die einem den Atem verschlugen. Auf einem „normalen“ Bildungsweg hätte sie das alles niemals erreicht. Ihr Hauslehrer sagte ihr, daß alles möglich sei zu erreichen was man sich vornehmen wolle. Mein Onkel hatte dieses Glück nicht und wurde durch das staatliche Bildungswesen für sein ganzes Leben schwer gezeichnet. Prügeln, Würgen und Demütigungen waren durch die Lehrkräfte an der Tagesordnung. Ob es nun die regulären Schulen, Grundschulen, Berufssschulen oder andere waren… Später ist er dadurch geisteskrank geworden und hat einen Mord begangen indem er Jemanden totprügeln ließ. Wo ist jetzt die „Menschlichkeit“ in so einem System ? Wo ist die „Überlegenheit“ ? Es geht nur um die blanke Gewalt des Staates und nicht um Recht, Menschlichkeit oder andere Dinge. Es geht um Geld und Einfluß, nichts anderes ! Wie viel Menschen dabei zu Grunde gehen oder abartig werden durch diese schweren Eingriffe des Staates in das Leben der Bürger ist gleichgültig. Die haben eben „Pech“ gehabt. Wer Glück hat geht weg oder schickt seine Kinder auf eine Privatschule. Eine noch normale Schule zu finden bei der die Kinder im klassischen Sinne etwas für das Leben lernen ist so gut wie unmöglich geworden. In meiner Schulzeit weiß ich von 2 Fällen in denen sich jugendliche Schüler erhängt und von der Brücke fallen ließen, da das Mobbing und die Aussichtslosigkeit ihrer Lage so unerträglich geworden ist, daß diese in den Tod getrieben wurden. Und darüber herrscht schweigen ! Das ist die wahre Katastrophe !

    • Angela

      Hallo Heinrich, ich kann Deine Gedanken gut verstehen. In uns allen steckt – denke ich – zu viel preussischer Gehorsam. Wir sind zu obrigkeitshörig und bestehen nicht auf unsere Grundrechte, wie das in anderen Ländern durchaus der Fall ist. Aber genau deswegen will ich in diesem Land etwas bewegen. 🙂 LG Angela

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