Selbstbestimmtes Lernen, das Grundeinkommen, Marx und die SPD….

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Ein paar Gedanken:

Ich habe die neue Marx-Biografie von Jürgen Neffe gelesen und vor einigen Tagen den Grundeinkommen-Film („Free Lunch Society“) gesehen. Es gab so viele Bezüge zueinander und außerdem auch zum Thema dieses Blogs – Selbstbestimmtes Lernen.

Marx mal halbwegs neutral bewertet zu sehen nach all der Verherrlichung in meinem „ersten Leben“ (DDR), macht ihn wieder ungeheuer interessant. In meinen Augen war er ein Idealist, auch wenn er sich angeblich selbst so nicht bezeichnet hätte. Er träumte von einer freien Gesellschaft, in der alle Menschen eine Gemeinschaft bilden und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen aufgehoben ist. Das ist nicht der „Kommunismus“, den ich erlebt habe. Das ist eher das, was viele Menschen schon immer mit dem Traum von einer besseren Gesellschaft verbunden haben.

Gestern sah ich eine Dokumentation über den Soziologen Jean Ziegler – so in etwa, sowohl mit den mir eher nicht so gefallenden Zügen, vor allem einem leichten Hang zu Dogmatismus, aber auch moralisch, idealistisch und kämpferisch -, könnte Marx vielleicht sein, wenn er heute leben würde. Er könnte aber auch ein Vertreter der Öko- und Alternativ-Bewegung sein, wenn er es geschafft hätte, seine bildungsbürgerlichen Attitüden abzulegen. Einen hippimäßigen Umgang mit Geld kannte er jedenfalls schon – er war (fast) immer pleite. Während Jürgen Neffe das auf die schlechte Vorbereitung aufs Leben durch sein Elternhaus zurückführt, frage ich mich manchmal, ob diese Negierung der Herrschaft des Geldes über das Leben nicht auch irgendwie Programm war. Aber höchstwahrscheinlich überschätze ich Marx dann doch. Auf jeden Fall hat er wohl auch schon den Schaden, den der Kapitalismus an unserem Planeten ökologisch anrichtet, vorausgesehen und die Globalisierung samt Finanzkrisen vorausgesagt. Auch die von ihm postulierte Verelendung großer Teile der Menschheit infolge des Kapitalismus passiert ja – nur (noch?) nicht bei uns.

Was aber kann die Lösung sein? Ich glaube nach Lektüre des Buches, dass Marx sich eher in der sich von der politischen Führungsschicht emanzipierenden Zivilgesellschaft Jean Zieglers oder in genossenschaftlich organisierten Kommunen, die gemeinsam Bauernhöfe finanzieren, vegane Dörfer gründen etc., verwirklicht sehen würde. In Menschen, die sich aus dem ausbeutenden Produktionsprozess herausnehmen und „dem Kapital“, das heißt vor allem, dem Geldschöpfen aus Geld, den Rücken kehren, das – die Finanzkrisen zeigen es immer wieder – ja auch nonsens ist.

Ich will nicht behaupten, dass ich voll und ganz verstehe, was Marx uns sagen wollte. Seine Analyse des Kapitalismus scheint doch aber insgesamt recht zutreffend zu sein. Im Kino beim Ansehen des Grundeinkommens-Filmes musste ich jedenfalls öfter an ihn denken. Da war vom Kapital die Rede – also nicht von Marxens Schrift „Das Kapitel“ (dieses und er selbst wurden nicht erwähnt), aber von den von ihm beschriebenen Verhältnissen des Kapitalismus. Auch vom Klassenkampf. Ich frage mich, ob Marx ein bedingungsloses Grundeinkommen als Lösung in Erwägung gezogen hätte. In Jürgen Neffes Buch wird diese Möglichkeit einmal kurz erwähnt. Und auch im Film hieß es sinngemäß, dass die Entkopplung von Arbeit und Einkommen das Ende von Ausbeutung bedeuten würde. Niemand ist mehr gezwungen, ungeliebte Jobs nur wegen des Geldes zu behalten. Einigen würde das Grundeinkommen genügen, andere würden trotzdem weiter für Geld arbeiten. Da sie aber nicht dazu gezwungen wären, müssten die Jobangebote attraktiv sein, entweder inhaltlich oder einfach finanziell. Genug Arbeit gibt es schon lange nicht mehr, zunehmend wird sie von Maschinen übernommen. Das manche Menschen gar nicht in – Lohn – Arbeit tätig sein wollten, würde also gar kein Problem darstellen.

Aber – und das war die zentrale Botschaft des Films – alle Menschen suchen nach Selbstverwirklichung in ihrem Tun, alle Menschen wollen „arbeiten“. Und mit einem Grundeinkommen hätte jeder Mensch die Möglichkeit, nach der einen Sache zu suchen, der er sein Leben widmen möchte. Oder auch vielen verschiedenen Sachen – gleichzeitig oder hintereinander. Und es macht auch nichts, wenn dieser Lebenszweck im lebenslangen Surfen auf Hawai oder „faul in der Hängematte liegen“ bestünde, wobei ich glaube, dass das irgendwann jedem Menschen langweilig werden würde.

Vielleicht sind wir Marxens Kommunismus sehr nahe, wenn wir das Bedingungslose Grundeinkommen einführen. Bitte haltet Euch nicht an dem Begriff „Kommunismus“ fest. Weiter weg davon als sie es waren, konnten die so genannten kommunistischen Länder gar nicht gewesen sein.

Der Grundeinkommens-Film führte mir aber auch die Ähnlichkeit der Argumentation für ein Grundeinkommen zu der Argumentation für Selbstbestimmtes Lernen vor Augen. Es hieß, Menschen wollen „arbeiten“ (wie gesagt, nicht im Sinne von Geld verdienen, sondern im Sinne von sich nützlich einbringen, sich verwirklichen). Gegner des Schulsystems sagen: Menschen wollen lernen und zwar auch im Sinne von Selbstverwirklichung. Sie brauchen dafür keine Lehrpläne, keine Fremdbewertung, keinen erzwungenen Schulbesuch. Man sollte Menschen weder zur Teilnahme am Lohnarbeitssystems noch zur Teilnahme am Schulsystem zwingen. Das bedeutet Freiheit. Und das bedeutet nicht, dass diese Menschen sich nicht bilden oder nützlich in die Gesellschaft einbringen.

Daniel Häni, der schweizer Grundeinkomens-Aktivist sprach im Film davon, dass er den Staat – die Amtsträger und Institutionen – als Dienstleister an der Bevölkerung ansieht. Genau so sehe ich das auch im Bezug auf Bildungsinstitutionen. Diese sollten Dienstleister für Menschen sein, die sich bilden wollen. Sie können Angebot machen, dürfen aber den Menschen nicht zur Teilnahme zwingen oder – noch schlimmer – versuchen, den Menschen nach ihren Vorstellungen „herzurichten“. Genau das passiert aber in unserem derzeitigen Bildungswesen.

Götz Werner, der dm-Gründer und Grundeinkommensbefürworter, sagte im Film, dass die Werte der französichen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – noch immer nicht erreicht sind. Und da hat er Recht. Wir können nicht frei über uns bestimmen. In Schulen werden wir auf das existierende kapitalistische System eingeschworen, in ein Lohnarbeitsverhältniss sind wir gezwungen einzutreten – vornehmlich dafür, das eine kleine Gruppe von Kapitalisten immer reicher wird. Das ist noch immer so wie zu Marxens Zeiten und wird seit dem Untergang des Ostblocks auch wieder stärker durchgesetzt. Dadurch ist auch keine Gleichheit gegeben. Damit ist gemeint, dass alle Menschen gleiche Lebenschancen haben, nicht dass alle exakt gleich Leben. Wenn jemand seinen Lebenszweck im Anhäufen von Geld sieht, soll er das tun – aber bitte nicht durch Ausbeutung und Kleinhalten von anderen. Brüderlichkeit müsste zwar eher Geschwisterlichkeit oder besser Menschlichkeit heißen. Aber auch diese kann nur erreicht werden, wenn nicht eine kleine Gruppe auf Kosten des Restes der Welt lebt.

Für mich gehören Grundeinkommen und Freie Bildung unbedingt zusammen, wobei es nicht notwendig ist, beides zugleich einzuführen. Nur die beiden quasi für das selbe Ziel – freie Menschen – kämpfenden Gruppen sollten sich zusammentun. Beides zu erreichen käme einer Revolution gleich. Wer sagt, dass eine solche blutig vor sich gehen muss? Sie könnte sich friedlich vollziehen, wenn sich genügend Menschen dafür einsetzen. Das würde die Gesellschaft verändern – zum Besseren, wie ich fest glaube.

Noch ein paar Gedanken sind mir durch den Kopf gegangen. Im Marx-Buch wurde auch die Entstehen der SPD behandelt. Während Marx am Ende seines Lebens der Meinung war, dass man auf den richtigen Moment für die Revolution, die aber stattfinden müsse, warten sollte, hat die SPD sich ja letztlich dafür entschieden, gar keine revolutionären Veränderungen anzustreben, sondern sich IM kapitalistischen System für Verbesserungen der Lebenssituationen der Menschen einzusetzen. Der Spruch „Wer hat uns verraten….“ entbehrt daher für mich nicht einer gewissen Logik. Denn es zeigt sich ja immer mehr, dass man IM System nichts gegen die Folgen der kapitalistischen Wirtschaft ausrichten kann. Dass es eine Zeitlang so aussah, als würde das funktionieren, lag eventuell zu einem großen Teil daran, dass es ein Konkurrenzsystem gab (egal wie wenig dieses mit Marxens Kommunismus zu tun hatte), vor dem man Angst hatte und daher Zugeständnisse machte. Seit 1989 ist der Kapitalismus aber wieder uneingeschränkt am Werk und die Zustände für einen Großteil der Bevölkerung verschlechtern sich.

Offensichtlich ist also der Versuch, im System etwas zu ändern, nicht sehr erfolgreich. Das beobachte ich auch in Bezug auf unser Bildungswesen. Seit dem Beginn seiner Existens gibt es Kritiker. Am bekannteren sind jedoch die, die IM System Veränderungen herbeiführen wollen – neue Fächer, andere Arten der Bewertung, späterer Unterrichtsbeginn etc. etc. Diese Vorschläge ändern aber nichts am erzwungenen Schulbesuch, an der Ungleichheit infolgle von Selektion, an der institutionellen Diskriminierung, an der Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft in den Köpfen der jungen Menschen und einigem mehr.

So wie Marx mit seiner Vision einer anderen Gesellschaft zu Lebzeiten kaum Beachtung fand, finden auch heute die Vertreter echter Neuerungen (Grundeinkommen, Abschaffung des Schulzwanges und Zulassung von Selbstbestimmten Lernen) weniger Gehör als Vertreter der „wir verändern IM System“-Fraktion. Das ist schade. Ich selbst glaube daran, dass grundlegende Dinge verändert werden müssen – dass eine Revolution stattfinden muss. Unser Leben muss endlich wirklich auf den Menschenrechten beruhen, ohne Ausbeutung, ohne Zwang, ohne ewiges Wachstum zum Schaden von Mensch und Natur, ohne Kapitalismus.

Ich drücke uns die Daumen, dass wir das noch schaffen, bevor unser Planet uns endgültig satt hat und einfach einen Schlussstrich zieht.

Angela

Ceterum censeo capitalismum delendam esse!

 

 

 

 

 

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